Trotz einer Verletzung war der Zimmerer bei der Weltmeisterschaft der Berufe angetreten:
Im russischen Kazan kämpften die besten Handwerker/innen Ende August 2019 um den WM-Titel. Zimmerer Alexander Bruns aus Bad Dürkheim hat für Deutschland mit Hammer und Kreissäge die Goldmedaille geholt. Seine Aufgabe war es im Wettbewerb, in 22 Stunden einen Pavillon aus 65 Hölzern zu bauen – trotz angerissener Sehne.

Zwei Jahre Training wären für Alexander Bruns im Juni beinahe umsonst gewesen: Ein Autofahrer nahm dem Zimmerer, der auf dem Fahrrad unterwegs war, die Vorfahrt, der 21-Jährige flog vorn über den Radlenker und landete auf dem Asphalt. Erster Verdacht: Schulter ausgekugelt. Das wäre an sich schon ärgerlich. Doch es hätte sich zu einem Drama entwickeln können, denn der amtierende Zimmerer-Europameister hatte Ende August den beruflich wahrscheinlich wichtigsten Termin seines Lebens: Die Weltmeisterschaft der Berufe (WorldSkills) im russischen Kazan.

Bei der 45. Weltmeisterschaft der nichtakademischen Berufe vom 22. bis 27. August ermittelten Handwerker aller Länder ihre Weltmeister: 1600 Teilnehmer aus 67 Nationen traten dabei in 56 Disziplinen aus Industrie, Handwerk und Dienstleistungen an. Maler strichen mit Pinsel und Rolle um den Sieg, Stukkateure vergipsten kunstvoll Trockenbauwände, Fliesenleger verfugten Keramikplatten millimetergenau. Auch Kfz-Mechatroniker, Krankenpfleger, Grafik-Designer und Floristen kämpften in einer riesigen Mehrzweckhalle um Medaillen. Trennwände schirmten die Kandidaten voneinander ab, sodass sie sich besser konzentrieren können. Dahinter lösten sie an vier Wettkampftagen Aufgaben, für die sie monatelang trainiert hatten.

Sägen mit Schmerzmittel

Hinter einer der Absperrungen hat Alexander Bruns um den Titel gehämmert und gesägt. Die Ärzte hatten ihm grünes Licht gegeben, zum Glück war seine Schulter doch nicht ausgekugelt, sondern nur eine Sehne angerissen. Bruns konnte teilnehmen, aber: „Es wird wehtun“, haben ihm die Ärzte gesagt. Sein Training musste er daher vor dem Wettbewerb zurückfahren. Trotzdem setzte er sich im Wettbewerb gegen die internationale Konkurrenz durch und wurde Weltmeister der Zimmerer!

Seit rund zwei Jahren hatte er sich akribisch auf die WM vorbereitet – zunächst mit der Aufgabe der WorldSkills 2017, nun mit dem Wettbewerbsmodell für 2019, einem Holzpavillon. Nach Feierabend und am Wochenende trainierte Bruns in einer Werkstatt seines Arbeitgebers, der Zimmerei Wolfgang Schlatter in Kleinkarlbach. Dort hatte er sich eine Wettkampffläche mit den gleichen Abmessungen wie in Kazan eingerichtet: Auf 5 x 7 m standen alle Werkzeuge und Maschinen, die er bei der WM benötigte: ein Frästisch, eine Hobelbank, Stemmeisen, Sägen, Hämmer, Schleifer, Akkuschrauber, Schablonen, Zwingen und vieles mehr.

Seine Hobbys lagen auf Eis

Zusätzlich trainierte er sechs bis acht Mal im Jahr mit der Zimmerer-Nationalmannschaft: Einerseits unter Wettbewerbsbedingungen im Bundesbildungszentrum des Zimmerer- und Ausbaugewerbes in Kassel und andererseits im Zimmerer-Ausbildungszentrum in Biberach sowie bei öffentlichen Auftritten mit Sponsoren. Seine Trainer Sascha Brück und Michael Rieger kennen Alex Stärken und Schwächen genau und passten das Training entsprechend an.

„Ich opfere viel für die WM“, räumt Alexander Bruns ein. 2018 war er an 75 Tagen nicht daheim. Der einzige Urlaub: vier Tage Mallorca. Seine Hobbys Fitness und Bouldern lagen auf Eis. Zum Glück unterstützten ihn Familie, Freundin, Freunde und Kollegen. „Sonst würde das nicht funktionieren“, sagt Bruns.

20 Minuten pro Bauteil

Die Wettbewerbsaufgabe der Zimmerer für die WM stand seit Ende April fest: Jeder Teilnehmer hatte die Aufgabe, einen Holzpavillon im Maßstab 1:1 zu bauen – 2,4 m hoch, 2 m lang und 1,6 m breit, bestehend aus Untergestell, Treppe, Dach und Balkon. Allerdings wurde das Modell unmittelbar vor dem Wettkampf noch um 30 Prozent geändert, um die Spontanität der Kandidaten zu testen. Bruns hatte im Training vorsorglich vier verschiedene Varianten gebaut.

Für den Pavillon musste er 65 Hölzer anreißen, zeichnen, ausarbeiten und zusammenbauen – in nur 22 Stunden. „Macht pro Bauteil rund 20 Minuten. Das ist sportlich“, sagt Bruns. War ein Holzstück zu lang und musste er nachschneiden, gab es Punktabzug. Schon 0,5 Millimeter Maßabweichung ahndete die Jury. Fehlerfrei durchzukommen ist schwer. Das muss gar nicht mal am Geschick der Teilnehmer liegen, auch schlechter Schlaf, Nervosität oder schwindende Energie können Titelträume beenden. „An vier Tagen lassen irgendwann die Kräfte nach, körperlich wie mental“, weiß Alexander Bruns, „ich habe das bei den EuroSkills erlebt: Die Eindrücke nach dem ersten Tag haben mich überwältigt. Alles ist neu und ungewohnt, das muss der Kopf erstmal verarbeiten.“

Trotz Kopfkino wurde Alexander Bruns 2018 Europameister und 2019 nun Weltmeister der Zimmerer. Bei den WorldSkills 2017 in Abu Dhabi gewann ein Zimmerer aus Korea, der Deutsche Kevin Hofacker belegte nur Platz 7. Ein Grund für die Stärke Koreas: die Trainingsbedingungen. „Die Koreaner werden von der Arbeit freigestellt und bereiten sich fast ein Jahr ausschließlich auf die WM vor.“

Einziger Handwerker in Akademiker-Familie

Manche Koreaner kehren nach den Wettkämpfen nicht in den Beruf als Zimmerer zurück. Für Alexander Bruns undenkbar: „Ich kann mir keine schönere Arbeit vorstellen. Der Zimmererberuf verbindet Tradition und Fortschritt. Die Aufgaben sind vielfältig und halten jeden Tag neue Herausforderungen bereit.“

Seine Leidenschaft für die Zimmerei entdeckte er durch ein Berufspraktikum in der 9. Klasse – in der Zimmerei, in der er noch heute arbeitet. „Es hat mir vom ersten Moment an Spaß gemacht. Holz ist einfach ein toller Werkstoff: Es strahlt Lebendigkeit und Wärme aus und gibt Räumen eine besondere Atmosphäre.“  Bruns ist der einzige Handwerker in einer künstlerisch und musisch begabten Familie mit lauter Akademikern. Sein Vater ist Hornist, die Mutter Sopranistin, seine neun Cousins haben alle studiert. „Ich war am Gymnasium kein Überflieger. Das lag nicht an fehlender Intelligenz, mir hat einfach der praktische Bezug gefehlt“, erinnert er sich. Nach der 10. Klasse am Gymnasium entschied sich Alexander Bruns für eine Ausbildung in der Zimmerei. Von seiner Familie kam Rückendeckung. Nur über den ein oder anderen Lehrerkommentar nach dem Motto: „Auf den Bau gehen, ist das Dein Ernst?“ ärgert er sich noch heute.

Plan für die Zukunft

„Zu glauben, dass man unbedingt studieren muss, um später Erfolg zu haben, halte ich für Quatsch“, sagt Alexander Bruns, „egal ob Studium oder Lehre: Wichtig ist doch, dass man weiß, was man machen will.“ Er selbst hat seinen Entschluss für eine Ausbildung nicht bereut: „Man verdient sein eigenes Geld, lernt Disziplin, trägt früh Verantwortung und gewinnt Selbstbewusstsein.“ Für Bruns ist eine Lehre im Handwerk keine Sackgasse, sondern ein Sprungbrett: „Wer möchte, kann später immer noch ein Studium als Architekt oder Bauingenieur machen.“

Autor

Dipl.-Ing. Michael Brüggemann studierte Architektur in Detmold und Journalismus in Mainz. Er arbeitet als Redakteur und schreibt als freier Autor unter anderem für die Zeitschriften stern, DBZ, bauhandwerk und dach+holzbau.

Von Michael Brüggemann

https://www.dach-holzbau.de/artikel/alexander-bruns-ist-weltmeister-der-zimmerer_3393686.html